Winter ist nicht nur die Zeit, die gezwungenermaßen vor dem Frühling kommt. Winter zwingt einen nicht zur Wanderuntätigkeit. Nein, auch im Winter kann man spannende Frischluftgeschichten erleben und sich das Tor zu einer ganz neuen „Outdoor-Erfahrungswelt“ eröffnen. Man muss sich nur darauf einlassen und vor allem ein Zielgebiet aussuchen, in dem es noch Bilderbuchwinter gibt. Wie zum Beispiel Lappland. Genau dorthin zieht es mich nun schon viele Winter immer wieder für Winterwanderungen. Und so auch 2017. Da es eine Hüttentour werden soll, fällt die Wahl auf die Strecke zwischen Nuorgam und Sevettijärvii ganz im Norden von Finnland. Ungefähr 60 km lang und mit sechs Hütten entlang der Strecke die perfekte Wahl für eine entspannte Tour.
Die Anreise ist zwar lang, aber unkompliziert. Wir fliegen über Oslo nach Kirkenes und von dort geht es per Bus weiter Richtung finnisch-norwegische Grenze. Mit unserem Gepäck und insbesondere unserem Gepäckschlitten (Pulka) werden wir dabei vor allem im Schulbus auf dem letzten Teilabschnitt interessiert beäugt. Leider fährt der Bus nicht grenzüberschreitend, so dass wir die restlichen 4 km nach Nuorgam laufen. Es ist übrigens das nördlichste Dorf in der EU!
Dort verbringen wir eine Nacht in der örtlichen Pension Nuorgamin Lomakeskus (Nuorgam Holiday Village) in einer eigenen kleinen Ferienwohnung, die wirklich sehr gemütlich ist und auch mit einem tollen Frühstück aufwartet. Um unser Glück perfekt zu machen, sehen wir bereits hier an unserem ersten Abend ein sehr schönes und spektakuläres Polarlicht.
Am nächsten Morgen fährt uns der Hausherr Raimo die ca. 20 km zum Startort, wo wir uns nach kurzem Abschied sofort auf den Weg machen. Und wieder haben wir doppelt Glück: Zum Einen strahlt die Sonne von einem perfekt blauen Himmel und zum anderen können wir einer gut sichtbaren Schneemobilspur folgen, was unser Vorankommen deutlich einfacher macht. Das ist allerdings relativ, denn gleich zu Beginn wartet ein respektabler Hügel auf uns, der uns ganz schön ins Schwitzen bringt. Einmal oben, geht es dann flacher weiter und so haben wir nun mehr Zeit für das Winterwunderland um uns herum. Schnee, wohin das Auge blickt. Und es kann weit blicken, denn so weit im Norden beschränkt sich die Vegetation auf meist nur mannshohe Birken, die noch dazu weit auseinander stehen.
Irgendwann ziehen Wolken vor die Sonne, doch wir sind fast schon an der ersten Hütte. Leider liegt sie etwas abseits von der Schneemobilspur, so dass wir die letzten 1,5 km durch den Tiefschnee müssen. Unsere Schneeschuhe vereinfachen das Laufen massiv, doch es ist natürlich immer noch sehr anstrengend. Umso schöner, dass wir die Tsuomasjärvi-Hütte bereits geheizt vorfinden. Grund dafür sind drei tschechische Winterwanderer, mit denen wir einen entspannten Abend verbringen. Wir tauschen Infos aus und reden über Gott und die Welt. Doch so langsam fallen uns auch die Äuglein zu.
Der nächste Tag beginnt trüb und mit leichtem Schneefall, doch zum Glück ist es nicht sonderlich windig. Wir kämpfen uns also zurück zu „unserer“ Schneemobilspur und laufen weiter Richtung Süden. Der Schneefall nimmt immer mal zu und wieder ab, aber die Sonne kann sich heute nicht durchsetzen. Und so geht es in recht trüben Grau über Seen und kleine Hügel zur Tsaarajärvi-Hütte. Dort sorgen wir nun für ein gemütliches Feuerchen und richten uns häuslich ein. Und wir schmelzen ausreichend Wasser, um uns beide vor der Hütte duschen zu können. Eine Wohltat trotz des eisigen Windes! Doch kaum sind wir mit der Hausarbeit und dem Hygieneprogramm fertig, tauchen auch schon fünf Finnen auf. Wir machen bereitwillig Platz und schauen ihnen beim „Einchecken“ zu. Als sie fertig sind, widmen sie sich stundenlang und mit großer Begeisterung dem Kartenspiel Uno, während wir unsere Bücher vorziehen.
Morgens pfeift ein starker Wind ums Haus. Glücklicherweise kommt er für uns von hinten und da das Thermometer Temperaturen um den Gefrierpunkt zeigt, beschließen wir, die 12,2 km zur Huikkimajoki-Hütte in Angriff zu nehmen. Nun müssen wir ohne Schneemobilspur auskommen. Das wäre eigentlich kein Problem, denn die Finnen kamen ja gestern aus der Richtung, in die wir heute laufen. Doch der starke Wind hat ihre Spuren fast vollständig wieder zugeweht. Trotzdem kommen wir erstaunlich gut voran und nach ca. zwei Stunden klart auch der Himmel zu einem strahlendem Blau auf. Wir passieren einen Rentierzaun, mehrere kleine Seen und stehen irgendwann vor der Hütte. Die haben wir nun ganz für uns, denn nach uns kommt niemand mehr. Wir genießen die Ruhe, den Ausblick und abends eine Portion Kartoffelbrei mit Pilzen und Salami. Leider bleibt uns ein Polarlicht verwehrt, aber wir beschweren uns nicht.
Nur ca. 6 km sind es am folgenden Tag zur Rousajärvi-Hütte. Wir laufen bei strahlendem Sonnenschein und ca. 0 Grad Celsius – perfekte Bedingungen. Die Landschaft ist nun noch offener und gewährt weite Blicke. Überall alles voller Schnee, der völlig unberührt in der Sonne glitzert. Fast kommt es einem wie Frevel vor, ihn mit Pulka- und Schneeschuhspuren versehen zu müssen. Auf der Hälfte der Strecke treffen wir ein finnisches Pärchen, dass uns etwas verlegen berichtet, dass sie wohl die Rousajärvi-Hütte etwas überheizt haben, doch wir freuen uns auf eine mollige Hütte. Und wirklich, nachdem wir einen kleinen Berg mit fantastischem Rundblick überwunden haben, stehen wir vor einer sehr warmen Hütte.
Das liegt aber vor allem an dem finnischen Eisfischer, der dort Mittagspause macht. Als er unsere Schneeschuhe sieht, muss er lauthals lachen. Im Norden sind eben immer noch Ski das Winterfortbewegungsmittel Nummer eins. Wir besetzen die Hütte, die wir erneut nur für uns haben werden, und starten unserer Hygieneprogramm mit Duschen und sogar Haare waschen. Das zieht sich natürlich über mehrere Stunden, denn für jeden Tropfen Wasser muss erstmal Schnee auf dem Ofen geschmolzen werden. Aber es lohnt sich, wie wir letztlich feststellen!
Auch der nächste Tag ist sonnig und mit Temperaturen um den Gefrierpunkt erneuert recht mild für diese Region und Jahreszeit. Allerdings ist auch der Wind wieder mit dabei und relativiert so den Wärmeeindruck schnell wieder. Die acht Kilometer zur Iisakkijärvi-Hütte schaffen wir in rekordverdächtigen 2,5 Stunden. Jedoch hilft uns dabei auch die alte Schneemobilspur, die es eigentlich hier nicht geben dürfte. Wir nutzen sie aber gerne und erreichen die Hütte so schon gegen Mittag, wo wir von drei fröhlich zwitschernden Vögeln begrüßt werden. Wieder haben wir die Hütte für uns und verbringen so einen entspannten Abend.
Morgens begrüßt uns wieder grauer Himmel und so lassen wir den Tag langsam angehen. Hinzu kommt, dass es nur 6 km bis zur Opukasjärvi-Hütte sind. Letztlich laufen wir aber los. Auf der Hälfte des Weges begegnen uns dann drei Schneemobile, die die alte Spur wieder auffrischen. Und kurz darauf stehen wir dann auch schon vor der Tür der Hütte. Drinnen ist es noch angenehm warm, da die letzten Bewohner sie erst Minuten vorher verlassen haben. Wir richten uns zum letzten Mal häuslich ein und genießen die helle und freundliche Hütte. Den Rest des Tages verbringen wir mit Lesen, Schreiben und Holz hacken.
Gegen Abend bekommen wir dann doch noch Besuch. Drei Finnen freuen sich über die vorgewärmte Hütte und ziehen allerlei Leckereien aus ihren Rucksäcken. Sie haben auch mehrere frisch gefangene Forellen geschenkt bekommen, doch ihr Wunsch nach selbstgefangenem Fisch ist noch größer. Und so ziehen sie zum Eisfischen wieder los. Wir begleiten sie und dürfen uns auch mal am Eislochbohren versuchen. Letztlich bleiben ihre Bemühungen aber erfolglos, so dass sie sich mit den geschenkten Fischen begnügen. Es wird ein richtiger Schlemmerabend, bei dem es zum Abschluss noch gebratenen Käse mit Moltebeerenmarmelade gibt.
So gestärkt können wir es auch verschmerzen, am nächsten Morgen bereits etwas früher aufzustehen. Wir wollen die restlichen 12 Kilometer bis Sevettijärvi möglichst zügig zurücklegen, um noch am selben Tag nach Kirkenes zu kommen. Und da es keinen Bus zwischen den beiden Orten gibt, sind wir auf die Hilfsbereitschaft unserer finnischen und norwegischen Mitmenschen angewiesen. Wir werden sie im Überfluss erhalten, doch dazu gleich mehr.
Zuerst wandern wir das letzte Mal durch die wunderschöne und tiefverschneite Winterlandschaft. Das Wetter spielt mit und versorgt uns mit Sonnenschein satt. Die Wanderung führt über zugefrorene Seen und auch einige Wälder, doch es gibt zum Glück keinerlei nennenswerte Anstiege. So kommen wir bereits gegen Mittag in Sevettijärvi an. Dort müssen wir aber feststellen, dass das örtliche Kaffee derzeit geschlossen hat, so dass wir auf den Campingplatz ausweichen. Der ältere Besitzer ist sehr freundlich und greift sofort zum Telefon, als wir ihn nach einem Taxi fragen.
Da scheinbar keiner der Taxifahrer Lust oder Zeit hat, uns nach Norwegen zu kutschieren, telefoniert er einfach seinen Bekanntenkreis durch, bis er eine junge Frau findet, die uns dann die 40 km bis zur Grenze nach Nätäämö fährt. Hier gibt es gleich zwei Supermärkte und eine Tankstelle, die sich hauptsächlich an Norweger und Russen richten, für die der Einkauf hier in Finnland eine durchaus beachtliche Ersparnis mit sich bringt.
Wir wärmen uns ein wenig auf und beginnen dann unsere Suche nach einer Mitfahrgelegenheit nach Kirkenes. Es dauert auch nicht lange, bis wir auf Thomas treffen. Er hat sowohl Platz für uns beide, als auch für unsere Pulka und fährt direkt nach Kirkenes. Doch damit nicht genug: Er setzt uns sogar direkt vor der Tür unseres Hotels ab – perfekt! Es gibt sie also noch, die gute, alte Hilfsbereitschaft – danke dafür!
Und so endet unsere Wintertour mit einer warmen Dusche, einem guten Abendessen, einem ebenso guten Frühstück und einem entspannten Rückflug. Als wir wieder in Deutschland ankommen, sehen wir die ersten Boten des heraufziehenden Frühlings und können es kaum erwarten, die nächste Frischluftgeschichte zu erleben.
Angelika Kottusch
Ein toller Beitrag! Und so schöne Fotos! Ich bin eigentlich keine Winterfan, aber die Bilder machten richtig Lust auf Winterlandschaft mit viel frischer Luft! Danke! Bin schon gespannt auf die nächste Frischluftgeschichte. Bis dahin liebe Grüße und alles, alles Gute!
Angelika
Basisstation
Schön, das es mal wieder eine Frischluftgeschichte gab. Soviel Schnee haben wir schon lange nicht gesehen und direkt Lust auf einen tollen Winterurlaub bekommen. Geschrieben wurde in der „Wir“-Form. Wer die zweite Personoder die anderen Personen waren, wird wohl ein Geheimnis bleiben.