Fast zwei Monate war ich nun schon auf Neuseelands Südinsel unterwegs und noch immer gab es große Gebiete davon, die ich noch nicht gesehen hatte. Eines davon, von dem andere Reisende mir immer wieder erzählt hatten, war die Westküste der Insel. Obwohl oder vielleicht gerade weil sie nur dünn besiedelt ist, gibt es hier aber eine ganze Menge zu sehen. Bevor ich die Südinsel also verlasse, wollte ich mir zumindest ein Stück weit auch diesen Teil anschauen. Also buchte ich einen Bus nach Westport, der nördlichsten nennenswerten Siedlung, und fuhr los.
Zumindest dachte ich das. Der Busfahrer war allerdings nicht ganz so optimistisch, denn in den letzten 24 Stunden hatte es auf der ganzen Südinsel recht heftig geregnet. Zwar war der Regen von allen lange erwartet und erhofft worden, denn in den vergangenen Wochen war es für dieses Gebiet erstaunlich trocken, aber doch nicht gleich so massiv. Eine Folge der Regenfälle waren unter anderem Erdrutsche, die gestern auch die Straße nach Westport unpassierbar machten. Vielleicht kamen wir also gar nicht bis dorthin.
Trotzdem fuhr der Bus erst mal los. Es regnete noch immer, wenn auch nicht so heftig. Der Busfahrer versuchte andauernd, die Straßenbedingungen in Erfahrung zu bringen und gab dann endlich Entwarnung. Wir würden durchkommen. Erleichterung machte sich nicht nur bei mir breit. Der Rest der Fahrt verlief dann auch ohne Zwischenfälle und wir kamen gesund und munter in Westport an.
Jetzt wurde es aber erst richtig spannend, denn ich wollte nun in ein Gebiet, in das es keine Busverbindung gab. Doch ich erfuhr in der Touristeninformation, dass es zumindest einen kleinen Postbus gab, der prompt auch wie auf Bestellung vorfuhr. Spontan sprang ich hinein und wir fuhren wieder durch den Regen. Mein Ziel war der Charming Creek Walkway, der in meinem Reiseführer in den höchsten Tönen gelobt wurde. Und er sollte recht behalten. Genau als ich loslief, hörte es auch noch zu regnen auf. Perfektes Timing!
Der Weg führte entlang eines alten, nicht mehr genutzten Eisenbahnstranges, der wiederum in einem tief eingeschnittenen Tal verlief. Durch die heftigen Regenfälle war der Fluss in diesem Tal stark angeschwollen und auch ziemlich laut. Riesige Wassermassen schossen in seinem Bett dem Meer entgegen. Als wäre dies noch nicht spektakulär genug, hatte auch der Weg so einiges zu bieten. Alte Überbleibsel der Eisenbahnzeit, sich direkt auf den Pfad ergiessende Wasserfälle und zu durchquerende Tunnel ließen den Weg nie langweilig werden.
Mittels einer Hängebrücke wechselte der Weg die Uferseite und gab dort den Blick frei auf den Mangatini Falls Wasserfall, der ebenfalls massiv angeschwollen war. Kurz danach erreichte ich Watson’s Mill und entschloss mich dort zur Umkehr, da das Wetter wieder schlechter zu werden drohte. Es ging den gleichen Weg zurück, wobei die Tunnel sehr praktisch waren, um kurze Schauer abzuwarten. Als ich wieder an der Straße war, war ich in Hochstimmung. Ein richtig schöner Weg, den ich ohne zu zögern empfehlen kann!
Doch mein Reiseführer hatte ganz in der Nähe noch zwei weitere Empfehlungen für mich: Ein Eisenbahnwrack sowie ein Schiffswrack. Also hieß es an die Straße stellen und den Daumen raushalten. Ich hatte ja schon gute Erfahrungen mit dem Fahren per Anhalter in Neuseeland gemacht. Es dauerte zwar ein Weile, aber letztlich wurde ich doch mitgenommen. Die nette Frau setzte mich freundlicherweise auch nahe am ersten Ziel ab. Also brauchte ich nur wenige Schritte gehen, bevor ich das Eisenbahnwrack erspähen konnte. Leider lag es im Fluss, der ebenfalls einen recht hohen Wasserstand hatte. Somit war nicht wirklich viel zu sehen.
Nächstes Ziel Schiffswrack. Wieder hielt ich den Daumen raus und gleich das erste Auto hielt. Ich erzählte vom Schiffswrack und weckte so die Neugier meiner Fahrerin. Gemeinsam erkundeten wir den Strand und fanden auch das Wrack inklusive altem Schiffsboiler. Da das Schiff aber vor mehr als 120 Jahren gestrandet war, hielten sich die Überreste in Grenzen. Trotzdem freute ich mich, auch dies gesehen zu haben.
Gemeinsam ging es wieder nach Westport, wo ich die Nacht im Art Hotel verbrachte. Das ist ein etwas anderes Hotel, denn es wird von Künstlern geführt. Gleichzeitig dient es auch vielen sozial Schwächeren als Bleibe, die sich andernfalls gar keine Unterkunft im Ort leisten könnten. Dazu noch ein paar Reisende ergibt eine interessante Mischung – mit allen Vor- und Nachteilen. Ich habe mich jedenfalls sehr wohl gefühlt.
Ermutigt durch meine positiven Anhaltererfahrungen, trampte ich am nächsten Morgen weiter nach Punakaiki. Dort befindet sich eine der Hauptattraktionen an der Westküste – die Pancake Rocks mit ihren Blowholes, also die Eierkuchenfelsen mit ihren Blaslöchern. Um aber die Blaslöcher bestmöglich in Aktion zu sehen, muss man zur Flut vor Ort sein. Praktischerweise war diese nicht nur zur Mittagszeit, sondern die See war auch noch sehr rau. Folglich boten die diversen Blowholes ein imposantes Schauspiel. Doch auch die Felsen selbst waren durch ihre seltsame Form (wie viele gestapelte Eierkuchen – daher der Name) etwas, was ich so noch nie gesehen hatte.
Als ich alles gesehen hatte und weiter nach Greymouth wollte, ergab sich ein unerwartetes Problem – Anhalterstau. Nicht weniger als zwölf Leute versuchten, in meine Richtung zu trampen. Doch ich hatte Glück, denn ein anderes Anhalterpärchen vermittelte mich an ein älteres Ehepaar, das nur Platz für eine Person hatte. So kam ich doch noch recht schnell nach Greymouth. Und da es erst Nachmittag war und Greymouth auf mich nicht sonderlich attraktiv wirkte, stellte ich mich wieder an die Straße. Mein Ziel hieß nun Arthur’s Pass, ein kleiner Ort mitten in den neuseeländischen Südalpen.
Erneut hatte ich Glück. Ein britischer Tourist gabelte mich auf, der mir von seinem schlechten Gewissen erzählte, dass er bereits an zwei Anhaltern vorbeigefahren war. Gemeinsam ging es in den kleinen Ort, wo ich mich im Mountain House Hostel einquartierte. Und dann ging es am nächsten Tag hinauf auf den Gipfel von Avalanche Peak. Schon gegen 8:30 Uhr nahm ich den steilen Weg Scotts Track in Angriff, doch nach gerade einmal 90 Minuten befand ich mich schon auf dem Gipfel. Da so früh noch niemand hier oben war, hatte ich die Aussicht fast 30 Minuten für mich alleine.
Obwohl ein Teil der Berge durch eine massive Wolkenwand verdeckt war, die nur Teile der Gipfel erkennen ließ, hatte sich der Weg gelohnt. Erstens konnte man immerhin in eine Richtung sehr weit gucken und zweitens boten auch die sich ständig verändernden Wolken einen spannenden Anblick. Hinunter ging es nun den Avalanche Track, der noch steiler war, als der vorher begangene Scotts Track. Wieder unten angekommen, taten mir ganz schön die Knie weh.
Ich legte eine längere Mittagspause ein und stellte mich dann wieder an die Straße. Mein nächstes Ziel war die Ces Clark Hut entlang des Croesus Tracks in der Nähe von Greymouth. Es ging also wieder zurück Richtung Norden und sollte auch mein letztes Ziel auf der Südinsel sein. Die Hütte war mir von Marianne auf Stewart Island als eine der schönsten Hütten in Neuseeland empfohlen worden. Also war ich gespannt.
Obwohl der Start des Croesus Tracks sich außerhalb des verschlafenen Örtchens Blackball befindet, benötigte ich nur drei Fahrer, um dort hin zu gelangen. Fahren per Anhalter funktioniert wirklich wunderbar in Neuseeland! Doch nun ergab sich ein neues Problem. Zum eigentlichen Start des Tracks waren es noch fünf Kilometer Forststraße und von dort nochmals zehn Kilometer bis zur Hütte. Und es war bereits 17 Uhr. Also schaltete ich den Turbo ein und lief los.
Der Croesus Track führte gemächlich ansteigend durch einen dichten Wald. Doch nach drei Stunden kam die Hütte in Sicht. Sie lag wirklich wunderschön am Hang und gewährte weite Blicke in das umliegende Land und den gerade stattfindenden Sonnenuntergang. Ein französisches Pärchen hatte es sich drinnen bereits gemütlich gemacht und wir verbrachten eine ruhige Nacht. Am nächsten Morgen ging es den Berg wieder hinunter, allerdings auf der anderen Seite Richtung Barrytown. Der Weg war hier in deutlich schlechterem Zustand und noch dazu sehr steil. Auch hingen mal wieder einige Wolken zwischen den Gipfeln, so dass es leider nicht viel zu sehen gab.
In Barrytown angekommen, wollte ich nun Richtung Picton und damit zur Fähre auf die Nordinsel trampen. Das erwies sich zuerst als schwieriger als gedacht, denn auf der kürzeren Route nordwärts hielt partout kein Auto. Also versuchte ich es in die „falsche“ Richtung und wurde prompt in mir bereits bekannte Greymouth mitgenommen. Von dort ging es dann über Murchison und Nelson weiter nach Blenheim, bevor ich am nächsten Tag die fehlenden Kilometer nach Picton trampte und mich auf die Fähre begab.
Damit sage ich nun Lebewohl zu Neuseelands Südinsel. Rechnet man die Zeit auf Stewart Island mit, so habe ich fast genau zwei Monate hier verbracht. Die ganze Insel ist wirklich sehr schön und bietet auch viel Abwechslung. Fast schon zu viel, denn ich habe trotz der langen Zeit und intensivem Reisen nur einen Bruchteil meiner angestrebten Reisepläne verwirklichen können. Und da sind noch nicht mal die ganzen Tipps von anderen Reisenden mit eingerechnet!
Doch ich habe mich bewusst dagegen entschieden, auch noch den Rest meiner Zeit auf Neuseelands Südinsel zu verbringen. Denn sicher ist die Nordinsel auch eine Reise wert, worin ich ja schon einen kleinen Einblick gewonnen habe. Also werde ich jetzt noch ein paar Wochen im belebteren Teil Neuseelands verbringen, wo bestimmt auch noch ein paar Highlights auf mich warten. Und so stehe ich mit einem lachenden und ein weinenden Auge auf dem windigen Deck der Fähre und schaue sowohl zurück auf den schönen Marlborough Sound, als auch ein wenig später auf die Häuser von Wellington, meinem nächsten Ziel.
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