Ich werde von einem äußerst tüchtigen Hahn geweckt. Meiner Meinung nach viel zu früh. Er sieht das offenbar anders und kräht, und kräht, und kräht. Ich gebe den Versuch auf wieder einzuschlafen, auch weil die Frühstücksglocke läutet. Also ran an den Tisch! Das Frühstück ist richtig gut, das beste aber ist der Kaffee. Unfassbar gut! Doch die Ernüchterung folgt sofort. Nach dem Essen bekommt jeder eine Aufgabe zugeteilt. Von Tisch abräumen bis Plumpsklo säubern, ist alles dabei. Normalerweise kein Problem, wenn ich mal helfen soll, doch hier bin ich doch eigentlich Gast und bezahle immerhin 35 Dollar. Das Wood’s Hole Hostel speicher ich also als „interessante Erfahrung“ ab.
Für Extra Mile, Iron Man und mich geht’s jetzt nach Pearisburg. Kurzer Stopp in einem Fast Food Restaurant und dann ab zur Post. Hier sollte doch jetzt endlich der Brief meiner Freundin auf mich warten. Ran an den Schalter, gleiches Prozedere wie vor ein paar Tagen in Marion – aber mit besserem Ausgang! Direkt vor der Post öffne ich den Umschlag und finde neben lieben Zeilen eine Packung Kinderschokolade und eine große Tafel Ritter Sport Nougat. Mmmmh lecker! Ich muss mich beherrschen nicht gleich mit dem Naschen anzufangen. Stattdessen steht Essen für den Trail nachkaufen auf dem Plan.
Mit vollen Rucksäcken geht es zurück auf den AT, kurz vorher stoppe ich aber noch an einem Ford-Autohaus. Doch nicht ein Auto, sondern das offene Wlan-Netzwerk hat es mir angetan. Ein paar Mails in die Heimat schicken, ein paar von dort empfangen. So, jetzt aber wieder wandern!
Der Abschnitt aus Pearisburg hinaus ist nicht gerade schön. Es geht vorbei an einer riesigen Fabrik und wir passieren die Einfahrt einer Mülldeponie. Ein paar Meilen schaffen wir noch, dann machen wir an einem Zeltplatz halt. Nach Iron Man, Extra Mile und mir, trifft nach und nach auch der Rest der Truppe ein. Erst Timeout und Crunchie, dann auch Milkmonsta und Wall-E. Es ist wirklich eine tolle Gruppe und macht riesig Spaß. Wir haben reichlich zu lachen, bevor es in die Schlafsäcke geht. Und ich verteile als Betthupferl an jeden noch einen Riegel Kinderschokolade – dank meiner Freundin!
Mitten in der Nacht sind sie auf einmal wieder da: Eulen! Es ist unfassbar, was für einen Lärm und welch irre Geräusche die hier in der Nacht machen. Wie schon einmal beschrieben, klingt es nach sterbenden Affen. Aber irgendwie höre ich dieses tierische Konzert sehr gerne. Mal sehen, wie lange noch.
Der Tag startet dagegen leise, bis Extra Mile, mit dem ich die ersten Meilen laufe, plötzlich flucht. Er hat unterwegs seine Regenhose verloren. Also heißt es für ihn umkehren und suchen. Der Mann macht seinem Trailnamen wirklich alle Ehre! Glück für ihn, dass Timeout und Crunchie, die circa eine halbe Stunde hinter uns wandern, die Hose aufsammeln und dem eigentlichen Besitzer aushändigen.
Dann zeigt sich der AT von seiner unschönen Seite. Der Trail ist steinig und offenbar nach einem Unwetter immer wieder durch umgekippte Bäume versperrt. Also heißt es klettern, kriechen und diverse Umwege gehen und das über knapp fünf Meilen. Das kostet Kraft und fordert Konzentration, die ich vermissen lasse. Schon liege ich auf dem Boden und baue damit unfreiwillig meine Führung in der Pannenstatistik aus. Mist!
Kurz darauf begegnen wir zwei Rehen, direkt neben dem Trail, der langsam besser wird. Der AT aber beginnt mit uns ein neues Spiel: „Regensachen an, Regensachen aus!“ Geeignet für Wanderer von fünf bis 99 Jahre. Vier oder fünf Mal ziehen wir die Klamotten an, weil es ordentlich anfängt zu regnen. Doch eben nur für zehn Minuten, dann scheint wieder die Sonne – typisches Aprilwetter.
Jetzt liegt plötzlich Extra Mile, sprich Craig, vor mir auf der Nase. Zum Glück hat aber auch er sich nicht wirklich was getan. Später erfahren wir noch, dass auch Timeout (Nigel) und Iron Man (Kirk) heute gestürzt sind. Nur Wall-E und Milkmonsta, die später auch noch an der Shelter eintreffen, haben den Tag sturzfrei überstanden.
Überstanden ist ein gutes Stichwort! Denn die Nacht ist, sagen wir mal, sehr „interessant“. Außer uns schläft auch noch ein 61-jähriger Wanderer in der Shelter. Sein Problem, das schnell zu unserem wird, ist, dass er schnarcht. Mehr noch, er hat eine Schlafkrankheit, bei der sein Körper nicht genug Luft zum Atmen kriegt, wodurch er unfassbar laut schnarcht. Zwischendurch setzt sein Atem sogar ganz aus! Unbeschreibliche Geräusche, sehr laute Geräusche! Während er zu Hause mit einer Atemmaske schläft, beschert er uns „hier draußen“ alles andere als eine erholsame Nacht.
Als die Nacht, wie gesagt, überstanden ist, geht es Robert nicht besonders gut. Während wir anderen in den Tag starten, legt er sich wieder in den Schlafsack und versucht die verpasste Nacht aufzuholen. Wir haben dagegen relativ entspannte sechs Meilen auf dem Bergkamm vor uns. Dabei treffen wir auf zwei etwas ältere Wanderer, die wir seit mehreren Tagen immer wieder treffen. Sie laufen Teile des ATs von Norden nach Süden und machen uns heute ein unglaubliches Angebot. „Unser Auto steht am nächsten Waldweg. Im Kofferraum ist eine Kühlbox mit Cola, Fanta und Bier. Nehmt den Autoschlüssel und trinkt was ihr wollt, aber schließt bitte wieder ab.“ Wahnsinn! Wir lehnen jedoch ab. Das Vertrauen der beiden aber ehrt uns.
An der War Spur Shelter stoppen wir für unsere Mittagspause. Ewigkeiten könnte ich hier sitzen: Die Sonne scheint, ein Fluss rauscht an uns vorbei und um uns summen die ersten Bienen. Nach 45 Minuten geht’s für Craig, Kirk und mich aber weiter. Mal wieder geht es bergauf – 1700 Fuß! Langsam nervt das ständige Auf und Ab. Ein Tag ohne große Höhenunterschiede wäre zur Abwechslung mal ganz nett. Nach insgesamt 14.6 Meilen ist der Tag an der Laurel Creek Shelter dann zu Ende. Wer nicht erscheint ist Robert und Katerina – und ich mache mir Sorgen!
Am nächsten Morgen sind es nur zwei Meilen bis zur Straße, von wo aus wir per Anhalter nach Newport wollen. Und das klappt mal wieder problemlos, obwohl wir mittlerweile wissen, dass trampen in Virginia per Gesetz verboten ist. Na ja, solange wir die Daumen nicht bei einem Polizeiwagen raushalten…
Während Kirk und Craig in dem winzigen Ort ein weiteres „Fresspaket“ von der Post abholen, fülle ich meine Essensvorräte an einer Art Tankstellen-Supermarkt auf. Und schon geht es zurück auf den Trail. Eine dreifache Mutter nimmt uns mit, deren jüngster, viereinhalb Jahre alter Sohn auf der Rückbank sitzt. Ich hoffe so, dass der Kleine, trotz der enormen Geruchsbelästigung, keine bleibenden Schäden davon trägt. Beim Abschied winkt er zumindest noch ganz fleißig.
Bei reichlich Sonnenschein geht es bergauf bis wir kurz vor dem Berggipfel NASCAR und Bullwinkle treffen, die beiden älteren Herren, die wir seit Tagen treffen und die uns gestern ihren Autoschlüssel angeboten haben. Von ihnen erfahre ich, dass Robert und Katerina einen Ruhetag eingelegt haben und dass es Robert schon deutlich besser geht. Beruhigend und zudem weiß ich jetzt immerhin, wo die beiden ungefähr stecken.
Für uns ist der Tag nach sechs weiteren Meilen auf einem Bergkamm und einem circa einstündigen Abwärtspart beendet. Ein richtig schöner Wandertag, der durch das gekaufte Bier in Newport abgerundet wird. Ungefähr ein dreiviertel Liter pro Person, den wir nach den zahlreichen Meilen der letzten Wochen durchaus spüren. Da kommen die zwanzig (!) Hot Dogs, die wir zu dritt als Abendbrot verzerren gerade recht. Und auch der „Schnarcher“, der wie wir die Shelter erreicht hat, kann uns heute nichts. Freiwillig schläft er im Zelt. Nur entfernt, kann ich sein Schnaufen hören, als ich meine Augen schließe.
Statistik zu diesem Abschnitt
Reisezeitraum: 08.04.2014 – 11.04.2014
Tage auf dem Appalachian Trail insgesamt: 50
Gewanderte Kilometer in diesem Abschnitt: 97,5
Gewanderte Kilometer auf dem Appalachian Trail insgesamt: 1096,7
Trail Magic auf diesem Abschnitt:
– keine
Basisstation
Lieber Philipp,
eine schöne Überraschung zum Ostersonntag wieder eine Geschichte lesen zu können. Dieser Abschnitt hatte doch auch wieder seine eigenen Reize :-) Vielleicht habt Ihr heute noch Glück und der „Trail Magic – Osterhase“ ist zum Ostersonntag auf dem AT für Euch unterwegs. Schön die Augen aufhalten….
Liebe Ostergrüße von
VaT u.MuT (auch an Robert und Katerina)
Philipp
Liebe Basisstation,
schön, dass euch „unser Ostergeschenk“ gefallen hat. Ob wir was gefunden haben, verraten wir natürlich erst im Blog. Euch aber trotzdem schöne Ostertage!
Viele liebe Grüße, Euer Philipp
Inge Wölke
Hallo Philipp,
heute morgen eine nette Osterüberraschung .! Einfach interessant zu lesen wie Ihr unterwegs seid. Wir wünschen weiterhin schöne Erlebnisse und grüßen Euch vielmals OI und OH
Philipp
Vielen Dank für eure Ostergrüße und ein paar schöne Ostertage! Philipp
Beate
Lieber Philipp, wir lesen sehr gerne Deine humorvollen, detailgetreuen Stories! Wir hoffen, Du teilst Deine Abenteuer auch bald wieder mit Milkmosta und Wall-E! Fröhliche Ostern und herzliche Grüße von Uwe und Beate
Philipp
Hallo Beate, hallo Uwe,
vielen Dank für die Grüße! Werde mit Sicherheit bald mal gucken, was die beiden so treiben. Dann gibt es zwar wieder nur eine Frischluftgeschichte pro Abschnitt, aber wir werden mit Sicherheit trotzdem genug zu erzählen haben.
Liebe Grüße…
Mary Ellen Morris
Hi Philip,
Just back from Paris and so glad to be catching up on the latest 3 blogs from you and Katerina too. You are all making excellent progress on the AT! I’m happy to hear your long awaited letter was waiting for you in Pearisburg! It’s also nice that you are able to hike with Extra Mile and Iron Man for a while at the faster pace and still meet up with Wall-e and Milkmonsta who are not too far behind. Hope you enjoy some Easter trail Magic today and keep those great trail stories coming!
Best – Mary Ellen
Carmen
Lieber Philipp, schöne Geschichte. Es ist immer toll Deine Und natürlich auch die Geschichten von Roobert und Katharina zu lesen. Hoffe, daß der Osterhase Euch wenigstens ein paar Eier oder sonstige Leckereien versteckt hat. Würde Euch auch gern ein ü-Paket senden, wohin könnte man das denn als nächstes senden.
LG Euch Dreien von Willi und Carmen
Philipp
Hallo Carmen, hallo Willi,
vielen Dank für euren Kommentar und Eure Grüße. Schön, dass Euch der Blog gefällt. Was der amerikanische Osterhase so treibt, wird erst im Blog verraten. Ein Ü-Paket wäre klasse, ist aber offenbar gar nicht so einfach. Zu einer Poststation in einer nächst größeren Stadt, die wir durchqueren, wäre wohl am besten. Aber soweit voraus haben wir noch nicht geplant. Vielleicht mal mit der Basisstation absprechen.
Jetzt erstmal liebe Grüße an euch alle!