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Von Dalton, MA nach Rutland, VT

Aufstehen fällt uns richtig schwer. Das liegt weniger am Motel in Dalton als an unserer Unwilligkeit wieder loszulaufen. Trotzdem ringen wir uns durch und packen. Allerdings sind wir so erst spät unterwegs. Wenn der Tagesplan schon vor dem ersten Schritt obsolet ist, wirkt das nicht gerade motivierend. Aber mal sehen, wie sich der Tag noch so entwickelt.

Beim Rauslaufen aus Dalton treffen wir auf einmal Jesse und Trish. Wir haben die beiden seit knapp 700 Meilen nicht mehr gesehen. Entsprechend groß ist das Hallo! Wir alle freuen uns, uns mal wieder zu sehen.

Noch ganz in Gedanken über dieses unverhoffte Wiedersehen biegen wir gleich mal falsch ab und laufen die falsche Straße lang, denn hier führt der Trail ausnahmsweise mitten durch den Ort. Es dauert eine Weile, bis wir den Irrtum bemerken und korrigieren. Und schon wieder haben wir etwas Zeit verloren.

Letztlich führt uns der Trail dann aber doch wohlbehalten aus Dalton raus in den Wald. Leicht ansteigend geht es wieder über Stock und Stein. Als wir oben sind, geht es auch gleich wieder runter nach Cheshire, den nächsten Ort.

Auch hier laufen wir mitten durch die Ansiedlung. Vor einem kleinen Häuschen sitzt eine ältere Frau und sonnt sich. Der örtliche Eisladen! Wir machen Mittag und gönnen uns zum Nachtisch jeder einen Milkshake. Jetzt sieht der Tag schon wieder freundlicher aus.

Die Kalorien brauchen wir auch, denn nun geht es steil bergan. Der Schweiß rinnt mir in Strömen am Körper herunter als es auf Massachusetts höchsten Berg zugeht. Es ist eine Weile her, dass wir Höhenunterschiede von mehr als 2000 Fuß überwunden haben.

Doch nette Menschen haben ein paar Meilen vor dem finalen Gipfelanstieg die Mark Noepel Shelter in den Wald gesetzt, die wir nun ansteuern. Da sich keine guten Zeltplätze finden lassen, stellen Katerina und ich unser Innenzelt in der Shelter auf. Wenigstens nachts wollen wir Ruhe vor den Mücken haben!

Morgens geht es die restlichen Meilen hinauf zum Gipfel. Oben angekommen trinken wir Kaffee und Kakao im Bergrestaurant. Aus dem Fenster können wir neben den eigentlichen Bergen auch schon die Wolkenberge sehen, die den angekündigten Regen bringen sollen.

Das tun sie dann hingebungsvoll beim steilen Abstieg hinunter nach North Adams. Wir laufen ein paar Meter durch den menschenleeren Ort, um auf der anderen Seite wieder den nächsten Berg zu erklimmen. Der letzte in Massachusetts. Und der Staat verabschiedet sich, wie er begann: steinig. Ein steiles Geröllfeld, das durch den Regen auch recht glitschig ist, liegt zwischen und und Gipfel.

Oben erwartet uns aber eine tolle Belohnung: „Willkommen in Vermont“ verkündet ein Schild. Der drittletzte Bundesstaat! Wir sind trotz Regen in Hochstimmung. Und schaffen so auch noch die letzten Meilen zur Congdon Shelter, die wir allerdings erst im Dunkeln erreichen. Trotzdem können wir heute gleich drei Dinge feiern: Wir haben nur noch weniger als 600 Meilen zu laufen, wir haben Vermont erreicht und auch die Meile 1600 überschritten. Alle drei Dinge zusammen ergeben eine zufriedene Nachtruhe.

Auch der nächste Tag beginnt trocken und endet nass. Wir laufen wie auf Schienen durch den Wald. Denn der ist links und rechts so dicht und der Trail gleichzeitig so schmal, dass ich mir wie ein Zug vorkomme, der seine vorgegebene Bahn nicht verlassen kann. Die Markierungen sind dadurch eigentlich fast nicht nötig, wären da nicht manchmal die abzweigenden Seitentrails.

Wir haben allerdings auch nicht viel Möglichkeiten auf sie zu achten, denn unser Blick richtet sich immer häufiger nach unten. Der am Nachmittag wieder einsetzende Regen verwandelt den Trail streckenweise in reinen Matsch, dem wir mehr oder weniger erfolgreich auszuweichen versuchen. Wie wir in den folgenden Tagen feststellen, ist der Süden von Vermont aber auch bei bestem Wetter recht matschig. Intern taufen wir den Staat von Vermont in Vermud um.

Erneut erreichen wir unser Tagesziel Kid Gore Shelter erst spät. Aber gerade rechtzeitig, bevor der Himmel seine Schleusen vollends öffnet. Die Shelter ist auch schon gut gefüllt. Wir ergattern die letzten drei Plätze und schlafen besser als erwartet, den volle Shelter sind normalerweise immer für grauenhafte Nächte gut.

Und auch der nächste Tag beginnt mit Regen. So ausdauernd kennen wir das noch gar nicht vom Appalachian Trail. Immerhin ist der Weg schön einfach zu laufen. Doch dann geht es hoch auf Stratton Mountain. Der Anstieg zieht sich. Oben gibt es auch einen Aussichtsturm, von dem wir immerhin erkennen können, dass die Aussicht gleich null ist. Alles voller tiefhängender Wolken. Aber der Berg ist trotzdem ein bisschen wichtig, denn hier hatte vor fast einem Jahrhundert Benton MacKaye die Idee zum Appalachian Trail.

Als wir hinabsteigen, hört auch langsam der Regen auf. Trotzdem sind wir immer noch ganz gut nass. Und so steuern wir die William B. Douglas Shelter an. In Vermont schlafen wir hauptsächlich in den Sheltern, da sich kaum Zeltplätze finden lassen und wir keine neuen anlegen wollen. Auch die Shelter ist eigentlich schon voll. Aber für Katerina findet sich noch ein Pritschenplatz und wir Männer schlafen auf dem Fußboden. Da in den Sheltern sowieso alle auf ihren Isomatten schlafen, ist es auch egal, ob man das auf einer Pritsche oder dem Fußboden tut. Ist beides aus Holz.

Der nächste Tag hält wieder mal Resupply für uns bereit. Diesmal in einem Örtchen namens Manchester Center. Es dauert, bis an der Straße endlich ein Auto hält. Doch letztlich können wir den Einkauf reibungslos erledigen. Wir verbinden ihn gleich mit dem Mittagessen und gönnen uns Bagel, Paprika, Salate und andere Leckerbissen.

Und bei der Fahrt zurück kriegen wir von unserem Fahrer auch noch Donuts und Erdbeeren geschenkt. Um den netten Tag dann auch noch perfekt abzurunden, haben wir die schöne Peru Peak Shelter ganz für uns allein.

Am nächsten Morgen heißt es früh aufstehen, denn wir wollen 22,3 Meilen laufen. Die bringen uns zur Straße VT103, von wo aus wir nach Rutland trampen wollen. Und der Tag läuft wie geschmiert. Der Trail ist einfach und das Wetter gut. So kommen wir gut voran.

Doch am schönen Little Rock Pond legen wir eine Pause ein. Der Ausblick auf den See ist zu schön, um einfach daran vorbei zu laufen. Im folgenden kommen wir dann auch noch an einer wahren Galerie von Steinmännchen vorbei. Hier hatte offenbar jemand sehr viel Zeit.

Gegen 19 Uhr stehen wir aber endlich an der Straße und nach kurzer Zeit hält auch ein Auto. Uns ist nicht ganz klar, wie wir da noch hinein passen sollen, denn auf der Rückbank stapeln sich Autoreifen. Doch das resolute Pärchen befestigt diese einfach auf dem Fahrradträger auf dem Dach und wir quetschen uns zu dritt hinten rein. Platz ist eben doch in der kleinsten Hütte.

Die beiden setzen uns am einzigen Hostel in Rutland ab. Dort gibt es sehr viel christliche Freundlichkeit, aber leider nur Schlafsäle und die auch noch nach Geschlecht getrennt. Uns steht aber der Sinn mehr nach einem gemeinsamen Raum. Und so nehmen wir nur unser Paket in Empfang, dass uns unsere Bekannte Christiane dort hin geschickt hat (vielen, vielen Dank dafür!), und ziehen weiter.

Letztlich landen wir in einem kleinen Motel am Rande der Stadt. Wir scherzen ein wenig mit dem wie bei fast jedem Motel indischstämmigen Eigentümer und bekommen so einen guten Preis und ein großes Zimmer. Mit Thru-Hikern muss man einfach Mitleid haben!

Im Zimmer wenden wir uns dann sofort dem Paket zu. Wir können den Inhalt kaum erwarten: Neue Schuhe für uns alle sowie deutsche Leckereien, die ich als Familienspende aus Deutschland mitgebracht habe. Der Glanzpunkt dabei sind ohne Zweifel die Würstchen! Die Schuhe sind ebenfalls dringend nötig, denn Philipps und meine haben jetzt knapp 1000 Meilen hinter sich. Entsprechend mitgenommen sehen sie aus. Alles in allem also Weihnachten im Juni!

In neuen Schuhen geht es nun etwas Essen. Ein Wohltat für die Füße! Das Essen bei Burger King ist allerdings leider keine wirkliche Wohltat für den Magen. Schnell noch was zu Trinken gekauft und dann ab ins Bett.

Ausschlafen ist angesagt, denn wir legen einen Ruhetag ein. Den haben wir mal wieder nötig, denn der letzte ist schon fast einen Monat her. Und was für ein Zufall, dass ausgerechnet heute auch die deutsche Elf bei der Fußball-WM auf Portugal trifft!

Bevor das Spiel beginnt, erledigen wir die üblichen Dinge. Katerina kümmert sich um die Reinigung der Filter, während Philipp und ich Wäsche waschen gehen. Letzteres ist diesmal im Motel leider nicht möglich, so dass wir etwas laufen müssen. Ich gehe dabei auch gleich noch zur Post, um unsere neuen Wanderstöcker abzuholen. Unsere alten sind komplett verschlissen, werden aber vom Hersteller als Garantiefall behandelt. So kann ich drei neue in Empfang nehmen und nun kann der Rest des Weges kommen!

Pünktlich zum Spiel sind wir wieder im Motel. Es ist das erste Fußballspiel seit langem für uns und entsprechend genießen wir es. Wir fiebern so lautstark mit, dass ich manchmal Angst habe, man verweist uns der Anlage. Deutschland gewinnt übrigens 4:0, falls es jemand verpasst hat.

Nach dem Spiel müssen wir nun auch noch den Resupply machen,  um für den nächsten Teilabschnitt wieder genug Nahrung zu haben. Das erledigen Katerina und ich. Leider ist der Supermarkt am anderen Ende der Stadt. Daher frage ich eine Frau an der Tankstelle nebenan, ob sie uns schnell dorthin fahren kann. Sie willigt ein und daraus entwickelt sich eine der erstaunlichsten und schönsten Trail Magic Situationen auf dem ganzen Weg.

Die gute Frau heißt Mary und entpuppt sich schnell nicht nur als sehr nett, sondern auch als sehr ideenreich. Zuerst fährt sie uns wie versprochen zum Supermarkt. Dort verspricht sie uns, draußen zu warten, bis wir fertig sind und anschließend Pizza essen zu gehen. Das ist doch schon mal nicht schlecht!

Als wir nach dem Einkauf wieder beim Auto sind, hat Mary aber schon eine neue Idee entwickelt. Da es ja ein heißer Tag ist, soll aus dem Pizza essen ein Picknick am See werden. Wir stimmen zu. Sie fährt uns wieder zum Motel zurück und verspricht, eine Stunde später mit Pizza und auch Badesachen für uns wiederzukommen.

Pünktlich 60 Minuten später steht Mary mit zwei Pizzen und Badeklamotten für jeden von uns wieder vor unserer Tür. Wir fahren an einen wunderschönen See, baden endlich mal wieder und verspeisen die leckeren Pizzen. Auch Marys Tochter Ann schaut kurz vorbei. Da Ann einige Zeit im besten Eisladen von Rutland gearbeitet hat, bringt das Mary auf die Idee für das Dessert.

Also wieder ins Auto und auf zum Eisladen. Dort gibt es so viele Sorten, dass uns die Auswahl schwer fällt. Letztlich gelingt sie aber doch und das Eis ist auch wirklich gut.

Während all der Zeit unterhalten wir uns so angeregt und angenehm mit Mary, als würden wir uns schon ewig kennen. Sie ist wirklich eine sehr nette und aufgeschlossene Frau. Daher bedauern wir es, als sie uns wieder am Motel absetzt. Wir hätten uns gerne noch länger mit ihr unterhalten. Aber sowohl sie als auch wir müssen morgen früh raus.

Im Motelzimmer lassen wir den Tag Revue passieren und können unser Glück immer noch nicht ganz fassen. Was für eine tolle Begegnung, die sich einfach nur aus Lauffaulheit und einer simplen Frage ergeben hat! Da klingelt das Telefon. Mary fragt, ob sie uns morgen zum Frühstück einladen darf. Wir sind erst perplex und dann hocherfreut. Das wird ja immer besser! Und so gehen wir sehr zufrieden und voller Vorfreude schlafen.

Statistik zu diesem Abschnitt

Reisezeitraum: 09.06.2014 – 16.06.2014

Tage auf dem Appalachian Trail insgesamt: 117

Gewanderte Kilometer in diesem Abschnitt: 184,1

Gewanderte Kilometer auf dem Appalachian Trail insgesamt: 2703,1

Trail Magic auf diesem Abschnitt:
– Fahrt nach Manchester Center hin und zurück inkl. Donuts und Erdbeeren
– Fahrt nach Rutland
– Mary und ihre vielen Wohltaten in Rutland

13 Responses

  1. Ulf
    | Antworten

    Hallo Ihr 3,
    wieder einmal eine schöne Geschichte. Es ist nur schade, dass Ihr bald am Ende seid und es dann keine Geschichten mehr gibt vom Trail. Macht weiter so und habt noch viel Spaß …

  2. Mary Ellen Morris
    | Antworten

    Hi happy hikers,
    It’s great to hear about your „Vermud“ (I love it!) adventures. When you mentioned hiking up Stratton it reminded me of years ago when I used to ski there, not a bad mountain, although I do prefer the West! Mary sounds wonderful, how great that she took you to the beautiful lake for swimming and pizza!
    Since Wall-e’s birthady is coming up on the 4th, let me be the first to wish a Happy Birthday. Katerina, I wish you a beautiful day with lots of excellent trail magic! Also on Friday Germany plays France in the world cup so I hope it’s a lucky day for the Germans to win! Go Germany – go all the way!!

    Today Extra Mile and Kirk reached the top of Mt Katahdin and will camp out tonight and head home tomorrow. I’m glad Craig got back on the trail to finish the 100 Mile Wilderness with Kirk, a great accomplishment for both (and for Craig to complete half) Yeah! It was definately difficult with several rivers/streams to cross over (about knee deep) and lots of rocks as well. I haven’t seen any pictures of theirs yet, but the top is beautiful from what I found on the web.

    I wish you all lots of sunny and successful days ahead as you get closer to your goal! Best always, Blog Mom

    • Robert
      | Antworten

      Congratulations to Craig and Kirk! Good to hear that they made it! Thanks for your wishes too!

  3. christiane
    | Antworten

    Happy Birthday morgen, Katerina! Lass Dich von den Jungs verwoehnen! Fussmassage vielleicht? Weiterhin viel Spass!
    Wird Zeit den naechsten Trip im Detail zu planen da Ihr ja schon fast am Ziel seid…

    • Katerina
      | Antworten

      Liebe Christiane, vielen Dank für die Glückwünsche! Wir können es kaum erwarten unser Ziel zu erreichen…

  4. Basisstation
    | Antworten

    Liebes Wandertrio,
    nun hattet Ihr wohl das Wetter nicht immer auf Eurer Seite. Trotzdem kennt Ihr keine Gnade und schruppt weiter. Das nennen wir mal „echte Indianer“ !! Doch es gibt immer wieder nette Leute, die Euch auch düstere, regnerische Tage zum Erlebnis werden lassen. Einfach Super!!
    Viel Spaß und Kraft weiterhin Euch „3“ von
    VaT und MuT.

  5. Eva
    | Antworten

    Happy Birthday Schnattchen!!! Wir wünschen Dir alles Liebe und Gute und flinke Füße;-) Lass Dich heute ordentlich feiern! Wir denken an Dich! Fühl Dich gedrückt :-* Gaaanz liebe Geburtstagsgrüße von Mirko, Mira und mir und natürlich auch von Onkel Wolf und Tante Tina:-)

    • Katerina
      | Antworten

      Hallo ihr Lieben,
      vielen Dank für Eure Glückwünsche! Ich habe mich riesig gefreut. Liebste Grüße an Euch fünf! :)

  6. Ulf
    | Antworten

    Hallo Ihr 3,
    vielleicht trefft Ihr demnächst auf ein deutsches Pärchen das ebenfalls den Trail läuft und deren Blog ich ebenfalls lese.
    Sie sind bis Harpers Ferry und von dort aus zum Mount Katahdin, um SoBo wieder bis Harpers Ferry zu laufen. Ihre Namen sind Mela (Doc) und Henning (Hangry) – http://www.zuhauseimwald.blogspot.de/

    • Joe
      | Antworten

      Wenn ich richtig gelesen habe, sind Mela und Henning zwischendurch eine Strecke mit dem Bus/Auto gefahren, haben also etwas ausgelassen. Zudem sind sie schon 3 Monate unterwegs und haben gerade mal die Hälfte geschafft, sie werden auf jeden Fall bis in den Oktober hinein wandern müssen. Wohl genau aus diesem Grund versuchen sie, die restliche Strecke Southbound zu laufen um dem Winter zu entgehen.

    • Robert
      | Antworten

      Danke für den Hinweis! Wir halten Ausschau.

  7. Christoph, Anna & Joscha
    | Antworten

    Liebe Katerina,
    Wir wünschen Dir alles Liebe und Gute zu Deinem Geburtstag. Hoffen ihr könnt ein wenig feiern. Fühlt euch ganz feste gedrückt von uns dreien.

    • Katerina
      | Antworten

      Hallo ihr Drei,
      Danke für die lieben Glückwünsche! Ich habe mich gefreut, dass Ihr an mich gedacht habt. Liebste Grüße…

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